Ich sag es gleich vorweg: Ich habe nichts gesehen. Schon seit den Fünfziger Jahren wartete ich auf 1999, auf den 11. August 1999. Dann, so sagte man mir damals als Kind, dann ereignet sich in Deutschland eine totale Sonnenfinsternis. Dieses Datum im Gedächtnis beobachtete ich in den letzten Jahren genau das Wetter im August. Meist war es um den 11. herum klar. Mit Schrecken erfuhr ich vor einigen Jahren, dass dieses Datum nicht mehr in die Sommerferien fällt. Wie sollte ich als Lehrer da frei bekommen. Da stand ein Schulwechsel an. Unserem neuen Chef, einem aufgeschlossenen und engagierten Schulleiter, machte ich zur Bedingung, dass ich den 11. August 1999 nach Süddeutschland fahren darf, wenn er mich als Kollegen haben möchte. Sonst würde ich an der alten Schule bleiben. „Das ist kein Problem. Das sind ja noch Jahre hin“, antwortete er. Von einer Namibia-Reise im Juli zurückgekommen, bereitete ich mich intensiv auf die Sofi vor. Ich baute im Garten mein C-11 auf und hängte zwei Kameras an die Deklinationsachse. Mit Kompass wurde ausgenordet. Die Nachführung funktionierte einwandfrei. Jeder Handgriff wurde dutzend Mal geübt.. Ich machte eine Serie von Sonnenaufnahmen mit verschiedenen Filmen, Objektiven und Belichtungszeiten. Alles wurde genau von meiner Frau notiert. Obwohl sie sich nicht so intensiv mit Astronomie beschäftigt, geriet sie auch in ein Sofi-Fieber. Schon die Schilderung von Adalbert Stifter ließ uns erschauern. Ich hielt einige Tage vor dem Ereignis in der Schule den Kindern einen Vortrag über Himmelsmechanik. Unser Schulleiter kaufte 450 Finsternisbrillen und gab mir offiziell den Auftrag, die Verfinsterung in Süddeutschland zu dokumentieren um dann darüber einen Vortrag mit Lichtbildern zu halten. Zwei Wochen vor dem Ereignis herrschte hier in Krefeld Namibiawetter: blauer Himmel bis zum Horizont. Kann das noch vierzehn Tage anhalten? fragte ich mich. In der Folgewoche verschlechterte sich das Wetter. Der Deutsche Wetterdienst im Internet wollte und konnte sich nicht festlegen. Dann hieß es schließlich in allen Meldungen: Süddeutschland und Österreich sind zu. Besonders wurde vor dem Alpengebiet gewarnt. Gute Chancen hätte man im Saarland und angrenzenden Frankreich. Auch unsere Sternfreunde im Verein hatten diese Meldungen vernommen und richteten sich bei ihren Reisezielen darauf ein. „Ich möchte mal eure Gesichter am nächsten Freitag sehen“ frotzelte ich in der Sternwarte. Alle lachten. Ich stornierte ein bereits gebuchtes Quartier in der Nähe von Ulm und wir fuhren am Vortag der Sofi nach Saarbrücken. Aber nirgends war ein Quartier zu finden. Drei Stunden suchten wir in den umliegenden Dörfern, aber alles war belegt. Nach weiteren zwei Stunden Suche fanden wir schließlich doch noch eine Kammer, in der wir unterkommen konnten. Ein letzter Blick zum Himmel vor dem Schlafengehen verhieß nichts Gutes. Es war bedeckt. Ab und zu funkelte Wega oder Deneb durch eine kleine Wolkenlücke. In der Nacht schlief ich nicht gut. Ich wurde geplagt von Sofi-Alpträumen und Herzrhythmusstörungen. Morgens wagte ich kaum den Vorhang zu öffnen. Wie befürchtet, es war alles zu. Vor dem Frühstück bemerkte ich eine größere Wolkenlücke. Dazu schwadronierte der Rundfunk von guten Chancen im Saarland. Die Hoffnungen stiegen. Gegen 9 Uhr suchten wir einen günstigen Standort, bei dem man weit übers Land schauen und den Mondschatten vom Westen her beobachten könnte. Überall auf den Feldern standen schon Gruppen von Himmelsguckern mit kleineren Geräten. Wir parkten auf einem Feldweg. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen und mein Gemüt antizipierte das Geschehen am Himmel. Als sich nun einige Wolkenlücken zeigten, keimte schwache Hoffnung auf. Ich montierte mein C-11 und klemmte 2 Kameras an die Gegengewichtsachse. Bei jeder Wolkenlücke machte ich Fotos. Es war sehr schön zu erkennen, wie der Mond allmählich die große Sonnenfleckengruppe schluckte. Mit großer Freude bemerkte ich das Ausdehnen einer großen Wolkenlücke. Sollten wir doch noch den Augenblick erleben, dass Scheibe auf Scheibe deckend steht, den wahrhaft herzzermalmenden Moment (Stifter)? Noch fünf Minuten bis zur Totalität. Da, von Osten her schieben sich tiefliegende schwarze Regenwolken heran. Die Kehle schnürt sich zu und die Wolken verdecken die schmale Sichel. Ich kann und will nicht mehr hinschauen. Plötzlich legt sich, wie mit einem schwarzen Tuch zugedeckt, eine tiefe Finsternis über die Landschaft. Nur schemenhaft nehme ich die Gestalten rings um mich wahr, die verzweifelt mit ihren Kameras in den schwarzen Himmel blitzen. Am Horizont ist schmutzig grau-gelbes Licht zu erkennen. So schnell wie das dunkle Tuch gekommen war, so schnell wird es wieder weggezogen und wir starren uns in die entsetzten Gesichter. Das war’s! Mit tränenden Augen bauten wir nun unsere Geräte ab. Gerade noch rechtzeitig wurde alles im Wagen verstaut, als auch schon der Regen losbrach. Tief deprimiert verließen wir den Platz des traurigen Spektakels. Stoßstange an Stoßstange machten wir uns auf den Heimweg. Meine Frau musste mich fahren. Ich war dazu völlig unfähig. Ich grübelte: 21. 6. 01, Sofi in Simbabwe, keine Ferien!!! 3 Tage brauche ich plus zwei Tage Wochenende macht zusammen fünf Tage. Was soll ich tun? Vorarbeiten? Unbezahlten Urlaub? Geht das überhaupt? Sabbatjahr? Diese dumpfen Gedanken quälten mich auf der Heimfahrt. Nach zwölf Stunden Fahrt über völlig verstopfte Autobahnen Stunden kamen wir mitten in der Nacht zu Hause an. Unwirsch fuhr uns am Freitag unser Vereinsvorsitzender an, weil er sich über eine Kleinigkeit ärgerte. Seine Laune war auf einem Tiefpunkt. Betreten schauten andere im Raum umher, während unser Ex-Vorsitzender jubelte: „Ich habe alles gesehen, ich habe alles gesehen. Ich war in Karlsruhe.“ Das freute mich. Als dann aber noch andere Gestalten mir strahlend ins Gesicht grinsten, verließ ich die Versammlung und fuhr nach Hause.     Herzzermalmend Für alle zu kurz gekommenen Sofi-Freunde Der Anblick während der Totalität Impressum Startseite Schule Biografie