Nacht und Träume
Eine Beobachtungsnacht auf der Sternwarte der IAS in Namibia
So habe ich es mir immer gewünscht. Meine Kamera am 50 cm Teleskop der IAS.  Die Nachführung läuft gut, das Guiding funktioniert einwandfrei und die Aufnahmen werden automatisch gemacht. Ich habe nichts mehr zu tun. Kein Glotzen durch das Fadenkreuzokular des Off-Axis-Guiders auf einen Stern an der Erahnbarkeitsgrenze, keine Astronomenspagate beim Fotografieren im Zenit, kein Raten mehr beim Fokussieren. Alles läuft von selbst dank Rechner, DSLR-Focus-Programm und Guiding-Kamera. Eine Stunde Ruhe. 12 Aufnahmen á 5 Minunten mit 800 ISO auf die Antennengalaxie im Raben.      Ich sitze hier in frostiger afrikanischer Nacht im Teleskopraum, warm eingewickelt in Decken, mit Kopf- hörern auf den Ohren und lausche der Musik von Schubert, während das Teleskop und die Astrokamera über meinen Laptop gesteuert wird.     Alles ist so still um mich her. Ich schaue auf zum Firmament und sehe die Sterne des ewigen Himmels, und das helle Band der Milchstraße über meinem Kopf. Alpha, Beta Centauri, rechts daneben das Kreuz mit dem Kohlensack und das Sterngefunkel im Schiffskiel.     Ich drücke auf die Taste meines mp3-Players. Etwas ruppig beginnt ein gebrochener f-moll Akkord, gefolgt von einer punktierten Melodie, die hinabstürzt, um dann von weicher Bewegung aufgefangen zu werden.        Über mir der Skorpion mit dem gekrümmten Körper, s-förmig, dem Sternpaar beim Stachel, dem roten Auge Antares und den Zangen darüber. Ich greife zum Fernglas neben mir. Welch eine Fülle von Sternen in der Milchstraße.    Nun kurze Wendung nach Dur. Immer wieder schimmert - jetzt in der linken Hand -  ein Repetitionsmotiv durch, das schließlich zur Initialzündung zahlreicher Aufschwünge wird um dann im fortissimo hart nach unten gebogen zu werden. Das Motiv knallt mir in die Ohren. Es schreit von dieser Welt und will mir bis zum Erbrechen sagen: Lass alle Hoffnung fahren!  Doch dann, dann vollzieht sich innerhalb eines Taktes etwas Unglaubliches: Aus der Asche brutal niedergestampfter Hoffnung beginnt die Musik zu lächeln. Eine andere Welt öffnet sich. Die liebe Melodie streicht mir milde übers Haar. Und mitten in dem weichen Repetieren dann die kleine Verzögerung der punktierten Achtel. Ein winziges,  zartes Innehalten. Doch die Melodie fließt weiter, jetzt auch in der Oktave und nun zum dritten Male und mit silbrigen Figuren im Diskant umfunkelt.      Sternenketten, Grüppchen und Pärchen ziehen durchs Gesichtsfeld, Kristalle auf schwarzem Samt. Dort, der helle Stern, er hat eine ganze Schar Geschwister um sich gesammelt. Ich schaue die Pracht und mir kommen Zitate in den Sinn. Goethe: "…über meiner Mütze nur die Sterne." Kant: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."     Wie ein Zwiegespräch beginnen nun einfachste Drei- und Viertonmotive miteinander zu reden in einer Sprache, die jeder versteht, dessen Sinne der Fühlbarkeit geöffnet sind. Mal antwortet die tiefe Stimme der hohen mit sanften Worten, mal bestätigt sie eine insistierende Frage.      Nein!!! Was ist das? Seven, six, five, four... Ich habe vergessen, den Lautsprecher des Rechners auszuschalten. Das darf nicht wahr sein!!! Scheiße! Was nun? Aufstehen? Abschalten? Der Count down wird noch öfter kommen! Also auf! Ausschalten! Wieder hinlegen.        Wo war ich? Im Schützen. Ach ja! Dieser blöde Lautsprecher! Inzwischen hat die Reprise des ersten Teils begonnen. Ich höre die ruppigen Akkorde.     Ist dieser Fleck nicht der Lagunennebel, den ich so oft beobachtete und fotografierte? Und dort das kleine Wölkchen der Trifidnebel? Wo ist deine schöne Kornblume?     Nach heftigen lauten Abwärtsbewegungen dann wieder die sanfte Melodie, als ob ein liebes Wesen mir die Wange streichelt. Und schließlich der Dialog. Spürst du mich? Ich spüre dich. Sternenglanz, Sternentanz…     Und ausgerechnet jetzt in diesem Augenblick trifft ein Photon, zu Christi Zeiten abgeschickt, auf seiner langen Reise durch unendliche Räume meine Netzhaut, meine! Hätte es sich das träumen lassen! Und ihr Photonen der Antennengalaxie, siebzig Millionen Jahre währte eure Reise, bis euch ein Hindernis in den Weg tritt, der Chip meiner Astrokamera. Zwischen den Gitterstäben des Teleskops sehe ich einzelne Sterne umgeben von Milchstraßenwolken.     Schuberts Impromptu ist längst zu Ende und eine Sängerin haucht sein Lied "Nacht und Träume", ganz leise begleitet vom Klavier. "Heilge Nacht, du sinkest nieder…"     Antares kulminiert und das Kreuz legt sich auf die Seite. Zwei blasse Wölkchen am Horizont.     Wie von ferne klingt es: "Holde Träume kehret wieder." (Bei der hier beschriebenen Musik handelt es sich um das Impromptu f-moll von Franz Schubert.) Animation
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